Interview: Formfrei – Wie Anna-Maria Regner ihre Leidenschaft zur Keramik fand

Interview: Formfrei – Wie Anna-Maria Regner ihre Leidenschaft zur Keramik fand

Interview mit Anna-Maria Regner von Formfrei

Geführt von Petra Waltenspiel, Tonraum.studio – aufgenommen beim Weingut Regner, Niederösterreich


Zur Abwechslung sind wir heute nicht im Tonraum, sondern an einem wunderschönen Sommertag in Niederösterreich beim Weingut Regner. Wir dürfen Anna-Maria von Formfrei besuchen.

Petra: Servus Anna-Maria, herzlich willkommen.

Anna-Maria: Hallo.

Anfänge

Petra: Uns interessiert, wie bei dir die Keramikreise begonnen hat. Magst du uns dazu etwas erzählen?

Anna-Maria: Sehr gerne. Ich war in meiner Kindheit oft mit Keramik in Verbindung, weil meine Mama sehr gerne getöpfert hat. Ich habe sie dabei beobachtet und Abdrücke im Ton ausprobiert, aber selbst zu töpfern hat mich nicht interessiert. Ich war immer wieder damit in Kontakt, aber es war nicht mein Ding zu dieser Zeit.

In der Schulzeit habe ich natürlich auch getöpfert – das ist in den meisten Schulen in Österreich so –, aber auch da hat es mich noch nicht gepackt.

Im Zuge meines Studiums, ich habe Pflege studiert, hat es dann begonnen. Ich hatte ein Praktikum in einer Rehaklinik, und dort durften wir mit den Patient:innen in einer Töpferstube arbeiten, um die Motorik zu stärken. Die Patient:innen konnten Teller für zu Hause töpfern.

Als ich dort mitgetöpfert habe, dachte ich mir: „Wow, so schöne Teller kann man machen – mit Häkeldeckchenabdruck, mit Blätterabdruck.“ So bin ich zum Töpfern gekommen. Ich bin nach Hause, habe begonnen zu recherchieren und wollte eigene Teller machen. So begann meine Keramikreise.

Petra: Mit einfachsten Mitteln gestaltet man schon schöne Dinge. War das, was dich am Ball hielt?

Anna-Maria: Ich glaube, es war die Vielfalt – die vielen Materialien und Methoden, die man anwenden kann. Jeder Künstler, Keramiker oder Handwerker kann sich selbst verwirklichen. Das macht es spannend.

Weg zum Beruf

Petra: Gab es einen Moment, wo du entschieden hast: „Das mache ich zu meinem Beruf“?

Anna-Maria: Das war ein Prozess. Ich habe in meinem Praktikum einmalig mit den Patient:innen getöpfert, und das hat mich total gepackt. Ich dachte mir, ich könnte für zu Hause unsere eigenen Teller machen. Ich habe dann in der Gartenhütte meiner Eltern begonnen, Bücher gelesen, im Internet recherchiert und einfach losgelegt. Nach ein, zwei Jahren habe ich mir einen Ofen gekauft und für mich durchgestartet.

Ich fotografiere und filme sehr gerne, habe das von Anfang an auf Social Media geteilt – ohne großes Ziel. Das Interesse war größer, als ich erwartet hätte. Ich merkte, das könnte mehr werden als ein Hobby neben meinem Vollzeitjob als Krankenschwester. Ich wusste aber, dass es ein langer Weg wird, mit viel Lernen und Prüfungen. Also habe ich weitergetöpfert, gelernt, Kurse besucht, um mein Wissen zu erweitern. So ist es langsam gewachsen.

Formfrei – der Name

Petra: Der Weg von den Kursen bis zur Marke Formfrei – wie lange hat das gedauert?

Anna-Maria: Den Namen Formfrei hatte ich sehr früh. Jedes Mal, wenn ich ein Stück an der Scheibe abgedreht habe, wollte ich etwas eingravieren, das daran erinnert, wer es gemacht hat. Ich wollte aber nicht meinen eigenen Namen verwenden.

Ich habe recherchiert, Wörter aufgeschrieben, die meine Keramik widerspiegeln – Kreativität, Freiheit, Formen – und so ist der Name Formfrei entstanden.

Für mich ist Keramik nicht nur Geschirrproduktion, sondern Freiheit. Ich kann mir meinen Alltag frei gestalten und mein Leben flexibel einteilen. Der Name soll daran erinnern, dass man das Leben selbst formen kann. Jeder Mensch hat es in der Hand, wie sein Alltag aussieht. Viele stecken in Routinen fest und trauen sich nicht, etwas zu verändern. Die Formfrei-Keramik soll daran erinnern, dass man jeden Moment neu entscheiden kann.

Erfolge und Hürden

Petra: Auf dem Weg zur Selbstständigkeit – kannst du dich an Hürden oder Erfolge erinnern?

Anna-Maria: Da gibt es einige. Ich fange bei den Erfolgen an. Ich habe erzählt, dass ich auf Social Media meine Keramik gezeigt habe. Viele fragten, ob ich Workshops anbiete. Ich überlegte, wie ich das machen könnte, und habe in der Gartenhütte meiner Eltern Probeworkshops angeboten. Sie waren sehr erfolgreich.

Ich bekomme heute noch Schmetterlinge im Bauch, wenn ich daran denke, wie viel Spaß es macht, anderen meine Freude am Handwerk zu zeigen. Diese ersten Workshops waren klein, aber sie haben den Weg für alles Weitere geebnet.

Später bin ich mit meiner Werkstatt aufs Weingut übersiedelt, weil der Platz zu klein wurde. Ich durfte Interviews mit Magazinen führen, es gab Artikel, die neue Teilnehmer:innen brachten.

Petra: Und die Hürden?

Anna-Maria: Die meisten Hürden liegen zwischen mir und der Keramik – Glasuren, Brenntemperaturen, Techniken, die nicht so funktionieren wie gedacht. Jedes Mal, wenn man den Ofen öffnet, weiß man nie genau, was einen erwartet. Selbst erfahrene Keramiker:innen erleben das. Es bleibt ein Prozess. Auch nach vielen Jahren passieren Dinge, die man verstehen muss.

Stil und Material

Petra: Hast du dich mit der Zeit auf bestimmte Techniken oder Materialien festgelegt?

Anna-Maria: Ja. Am Anfang probiert man alles – verschiedene Tone, Glasuren, Techniken. Ich habe aber schnell gemerkt, dass es besser ist, sich zu konzentrieren. Heute arbeite ich hauptsächlich mit einem gesprenkelten Steinzeugton und verwende weiße und transparente Glasuren. Mir ist wichtig, dass ein Teil der Oberfläche unglasiert bleibt, um den Ton zu zeigen.

Ich arbeite an der Plattenwalze für Teller und Schalen, den Rest an der Töpferscheibe – Vasen, Tassen, Becher. Interessanterweise sind viele Stücke aus unserem Alltag entstanden: Servierplatten für Weinverkostungen, Weinkühler, Vasen für Veranstaltungen.

Neue Projekte

Petra: Das passt wunderbar zum Weingut. Planst du neue Projekte in dieser Richtung?

Anna-Maria: Ja. Ich habe begonnen, mit Porzellan zu arbeiten. Ich hatte lange Respekt davor, aber im letzten Jahr habe ich intensiv damit experimentiert, Porzellan eingefärbt und mit Gipsformen gearbeitet. Bald wird es eine neue Formfrei-Kollektion geben – aus Porzellan und mit Farbe.

Retreats

Petra: Neben dem neuen Projekt hast du auch andere große Projekte, wie zum Beispiel Retreats.

Anna-Maria: Genau. Das Potter Retreat habe ich mit zwei Keramikerinnen gegründet: Marion Kogler aus Bad Mitterndorf und Sophia Reutmeier aus Niederösterreich. Wir haben uns vor etwa sieben Jahren über Instagram kennengelernt und regelmäßig ausgetauscht.

Wir trafen uns schließlich bei Sophia, frühstückten gemeinsam und sprachen darüber, ein Retreat für Keramiker:innen anzubieten – um gemeinsam zu wachsen, Erfahrungen zu teilen, Zeit miteinander zu verbringen.

So entstand das Potter Retreat. Wir haben es inzwischen dreimal veranstaltet, jedes Mal anders, aber immer großartig. Es findet im Hotel von Marions Familie in Bad Mitterndorf statt. Wir bieten Yoga, Gesprächsrunden, Töpferkurse, Raku- und Tonnenbrände an. Die Teilnehmer:innen kommen aus Österreich und Deutschland. Das Interesse ist groß, und ich freue mich sehr darüber.

Vaclaytion

Petra: Und es gibt auch noch die „Vaclaytion“?

Anna-Maria: Ja. Die hat Marion ins Leben gerufen. Sie möchte das Töpfern stärker in den Hotelbetrieb integrieren und bietet regelmäßig Retreats an – für Anfänger:innen und Fortgeschrittene.

Das Potter Retreat richtet sich eher an Profis, die Vaclaytion an Einsteiger:innen. Dort gibt es drei bis vier Stunden Töpferkurs am Tag, der Rest ist frei – zum Beispiel für Schneeschuhwandern oder Entspannen im Hotel. Ich bin im Jänner wieder dabei.

Workbooks

Petra: Du hast auch Workbooks erstellt. Wie kam es dazu?

Anna-Maria: Meine Werkstatt ist im Winter zu kalt, deshalb pausiere ich dann mit Workshops. In einem Jahr konnte ich wegen familiärer Gründe keine Kurse anbieten und habe beschlossen, stattdessen ein Workbook zu gestalten – mit Anleitungen, zum Beispiel wie man Teller töpfert. Das kam sehr gut an. So konnte ich mein Wissen weitergeben, auch ohne Workshops.

Verkauf am Weingut

Petra: Du bietest deine Keramik auch direkt am Weingut an. Wie erleben das die Kund:innen?

Anna-Maria: Ich empfinde das als großen Luxus – für mich und für die Kund:innen. Sie können die Produktionsstätte sehen, die Menschen dahinter kennenlernen und die Stücke direkt angreifen.

Hier am Weingut gibt es einen großen Verkaufsraum für Wein, Schnaps und Säfte. Anfangs hatte ich ein kleines Regal mit meiner Keramik, inzwischen sind es mehrere. Es wird sehr gut angenommen, und ich bin dankbar dafür.

Viele kommen gezielt hierher. Ich habe das Gefühl, man kauft nicht nur ein Produkt, sondern ein Gefühl. Wenn man persönlich mit den Kund:innen spricht und sie sehen, mit welcher Freude man arbeitet, entsteht eine Verbindung.

Schluss

Petra: Vielen Dank für das schöne Gespräch, Anna-Maria.

Anna-Maria: Danke, dass ihr da wart.

Petra: Dann lassen wir die Gläser klingen.

Anna-Maria: Sehr gerne. Danke fürs Kommen – und danke an alle, die zugeschaut haben. Bis bald!